Mohiniyattam

Schwanensee - Meissen (2013)

Klassisch südindischer Tanz

Mohiniyattam, „der Tanz der Verführerin”, ist ein der acht klassisch indischen Tanzstile, die von der Sangeet Natak Akademi anerkannt sind. „Mohini” bedeutet soviel wie eine Frau, die den Zuschauer verzaubert. Und „attam” graziöse und sinnliche Körperbewegungen.

1. Geschichte // 2. Der Ursprung des Tanzes – Die Geschichte von Mohini // 3. Technik // 4. Repertoire //
5. Kostüm und Make-up // 6. Musik // 7. Literatur

1. Geschichte

Mohiniyattam stammt höchstwahrscheinlich von dem in Kerala nachweisbaren Tanz der Devadasis, den Tempeltänzerinnen ab. Hinweise wie Skulpturen und Inschriften in den Tempeln können dies ab dem 9. Jahrhundert belegen. Ebenso gibt es im 12. Jahrhundert Erwähnungen in der Literatur, die darauf hinweisen. Einflussreiche Könige Keralas besaßen neben Macht und Reichtümern Devadasis als Teil ihres Gefolges. In Kerala waren sie unter dem Namen Teviticci „die an Gottes Füssen Dienende” (Tevar = Gott, Ati = Füße, Acci = Frau) bekannt. Über Jahre hinweg gewannen sie an Ansehen und Bedeutung. Dennoch findet Mohiniyattam erst seit ca. 500 Jahren Erwähnung als eigener Tanzstil und lässt ihnen als einen der jüngsten klassischen indischen Tänze erscheinen. Andere Meinungen behaupten, dass Mohiniyattam kein Tanz der Devadasis gewesen sei und erst seit der “goldenen Ära der Kunst und Literatur” im 16. und 17. Jahrhundert existent ist. Der frühste aufgezeichnete Beleg stammt aus dem 18. Jahrhundert. Hierbei wird über das Honorar der Tänzerin sowie über die Aufteilung dessen zwischen Tänzern und Musikern berichtet.

Bedeutsamkeit erlangte Mohiniyattam durch den Herrscher Swati Tirunal (1813-1847) von Travancore (heute Trivandrum). Sein Königshaus, dessen Mitglieder selbst alle begnadete Künstler waren, pflegte und förderte alle Kunstformen, speziell Musik und Tanz. Swati Tirunal ermutigte Künstler ganz Indiens zu seinem Hof zu kommen.

So konnte er Vadivelu von den Tanjore Brüdern, die großartige Bharatanatyam Lehrer waren, für seinen Hof gewinnen. Dies brachte wesentliche Verbesserungen und Erneuerungen für den Mohiniyattam. Ebenso schuf Swati Tirunal eine abwechslungsreiche und attraktive Musik für Mohiniyattam, in dem er einerseits selbst komponierte und 20 Varnams, 50 Padams und 5 Tillanas verfasste. Anderseits konnte er Irayimman Tampi, einen großartigen Musiker, für seinen Hof werben. Dieser komponierte weitere 25 Padams and 5 Varnams. Mohiniyattam erhielt in dieser Periode eine deutliche Aufwertung und Veredlung, ohne die fundamentalen Aspekte dieser Kunstform zu verfälschen. An Höfen, in Häusern reicher Kaufleute und Höflinge, sowie bei Festen in der Öffentlichkeit war diese Tanzform beliebt und angesehen. Bedauerlicherweise förderten die Nachfolger Tirunals ausschließlich den Männertanz Kathakali und Mohiniyattam geriet immer mehr in Vergessenheit.

Das Verbot des öffentlichen Tanzes durch die britische Kolonialregierung trug zum allmählichen Verschwinden der gesamten klassisch indischen Tänze bei. Tänzerinnen waren gezwungen, billige, beinahe obszöne Tanzstücke in ihre Tanzvorführungen einzubeziehen, um dem einfachen Volk zu gefallen. Somit wurden Tanzstücke wie Polikali, Esal, Mukkuthi und Candanam in das Mohiniyattam Repertoire aufgenommen. Nur durch den Verdienst des keralischen Dichters Narayanan Vallathol konnte die traditionelle Form des Mohiniyattam bewahrt werden. Er gründete in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts das Institut Kerala Kalamandalam zur Pflege der einheimischen Künste, wie z.B. Mohiniyattam, Kathakali, Koodiyattam und Thullal. Die Lehrvorlage des Mohiniyattam beinhaltete hierbei nur die klassischen Merkmale und Tanzstücke und lehnte die minderwertigen Stücke wie Esal, Chandanam und Mukkuthi ab. Bis heute und vor allem durch den Verdienst großartiger Lehrer und Forscher in und außerhalb der Akademie Kerala Kalamandalam hat sich Mohiniyattam zu einer eigenständigen und respektvollen Kunst entwickelt.

2. Der Ursprung des Tanzes - Die Geschichte von Mohini

Ein wesentlicher Aspekt des Mohiniyattam ist neben der Anbetung und Liebe zu Gott das Wesen Mohini. Sie steht in der hinduistischen Mythologie als die göttliche Verführerin, Inbegriff der weiblichen Schönheit und Verlockung. Somit geht der Ursprung dieses Tanzes auf die folgenden zwei Legenden zurück:

Als die Welt entstand, waren die Götter und die Dämonen (asuras) gleich stark. Brahma, der Schöpfer des Universums, erzählte den Göttern (devas) von Amritar, dem Trank der Unsterblichkeit, der nur durch das Aufschäumen des Urozeans erhalten werden kann. Schnell bemerkten die Götter, dass sie allein hierfür zu schwach waren. So galt es sich mit den Dämonen (asuras) zu verbünden, welche natürlich einzig und allein Amritar für sich haben wollten. Nach vielen Schwierigkeiten und Abenteuern stieg aus dem Urozean ein Gefäß mit dem Trank der Unsterblichkeit auf und ein schrecklicher Kampf um Amritar brach aus, der tagelang unentschieden hin und her ging. Da nahm Gott Vishnu, der Erhalter von Form und Balance im Kosmos, die weibliche Gestalt der göttlichen Tänzerin Mohini an. Diese erschien als wunderschöne Frau, geziert mit Schmuck und zart klingenden Fußglöckchen. Vom Tanz mitgerissen vergaßen die Götter und Dämonen ihren Kampf. Nach ihrer Darbietung schlug Mohini vor, den Trank unter allen gerecht zu verteilen. Sie begann mit den Göttern und noch bevor die Dämonen einen Tropfen erhalten konnten, war das Gefäß leer. Mohini löste sich im Nichts auf.

In der zweiten Geschichte gebraucht Mohini ihren Charme um den Gott Shiva von Bhasmasura, einen schrecklichen Dämon zu schützen. Bhasmasura gewinnt die Gunst Shivas bei einer seiner bewundernswerten Aufführungen, so dass Shiva ihm eine Wohltat bewilligt. Bhasmasura wünscht sich die Fähigkeit, dass jedermann, den er an den Kopf fasst, in Asche zerfällt. Shiva willigt ein und wird daraufhin von Dämonen attackiert, die ihn in Asche verwandeln wollen. Er bittet um die Hilfe Vishnus, der abermals als Gestalt der wunderschönen Mohini erscheint. Bhasmasura ist von Mohini verzaubert, die ihn in ihrem verlockenden Tanz auffordert all ihre Bewegungen nachzuahmen. Bhasmasura, abgelenkt und aufgewühlt von ihrer Schönheit und Anmut, verwandelt sich selbst in Asche. Shiva ist erlöst.

3. Technik

Das Erscheinungsbild des Mohiniyattam ist geprägt durch anmutige, langsame, runde und ineinander fließende Bewegungen, die einen kontrollierten Energie- und Krafteinsatz der Tänzerin fordern. Die Grund- und Hauptposition, aus der die meisten Bewegungen hervorgehen, heißt aramandalam. In der westlichen Tanzsprache meint dies die 2. Position auswärts im Demi Pliés. Darunter zu verstehen sind auswärts gedrehte Beine, deren Füße ca. eine Fußlänge voneinander entfernt sind, sowie halb gebeugte Knie. Charakteristisch ist das Schwingen von der Lotlinie nach links und rechts, sehr feine Oberkörperbewegung in Form einer winzigen liegenden Acht sowie weit ausladende Schritte. Die Bewegungen des Mohiniyattams sollen die Natur Keralas wiederspiegeln: Langsam fließende Gewässer, wie auch schwingende Palmen und Reisefelder im Wind.

Im Mohiniyattam existieren ca. 40 – 60 grundlegende Bewegungsabfolgen (je nach Stil und Schule), so genannte adavus, die beherrscht werden müssen, bevor man ein Tanzstück erlernen kann. Klassisch indischer Tanz wie Mohiniyattam wird hauptsächlich in nritta, nritya und natya unterteilt: Nritta bedeutet die pure Bewegung des Körpers, die weder Erzählungen, Stimmungen (bhava), Gefühlszustände darbietet noch Ziele, Absichten oder Kommunikation verfolgt. Nritta dient alleinig zum Kreieren von Schönheit durch verschiedenen Formen und Linien des Körpers in Raum und Zeit gesetzt. Natya ist der dramatische Aspekt, die pure Gestik und Mimik der Tänzerin. Insbesondere das diffizile Schauspiel, indem jeder Gesichtsausdruck, jede Augen- und Augenbrauenbewegung klar definiert ist, sowie die Verwendung von mudras (Gesten der Finger und Hände), stellt einen essentiellen Unterschied zum westlichen Tanz dar. Nritya bedeutet die Kombination aus nritta und natya. Erst durch die Verknüpfung des technischen und gefühlsbetonten Aspekts können die mythologischen Geschichten erzählt werden und der kommunikative Aspekt Anwendung finden.

Als Grundlage aller klassischen indischen Tänze gilt das fünfte Buch der heiligen Veden, das Natyashastra des weisen Bharata Muni. Neben diesem findet Hastha Lakshandeepika Anwendung im Mohiniyattam, ein Buch über die Mudras (Handgesten). Das Studium des Werkes Balaramabharatam ist für einen Mohiniyattamtänzer unentbehrlich. Der Autor, Gelehrte und König Karthika Thirunal Bala Rama Varma (auch bekannt unter dem Titel ‘Dharma Raja’), der ein großes Talent im Bereich der Literatur, Musik und Tanz besaß, förderte die Künste und Literatur im 18. Jahrhundert. Dieses Buch erläutert detailliert technische Aspekte des Mohiniyattam. Neben den mudras werden auch angas (major limbs wie Brustkasten, Hüfte, Füße, Hände und Kopf), upangas (minor limbs wie Augen, Augenbrauen, Nase, Lippen, Kinn, Mund) und pratyangas (Hals, Handgelenke, Knie, Oberschenkel, etc.) beschrieben und definiert. Dieses Buch, mit Texten und praktischen Details vervollständigt das Studium des Mohiniyattam und lässt somit kaum Zweifel und Fragen der Technik offen.

4. Repertoire

Das Repertoire und der Ablauf einer traditionellen Aufführung des Mohiniyattam wies einst große Ähnlichkeiten mit dem klassisch indischen Tanzstil Bharatanatyam auf. Seit einigen Jahrzehnten gibt es viele Bestrebungen, ein neues und somit eigenständiges Repertoire für Mohiniyattam zu erarbeiten, um ihm seine Individualität und eine herausragende Stellung unter den klassischen indischen Tänzen zu geben. Das Repertoire von Mohiniyattam beinhaltet normalerweise fünf verschiedene Tanzstücke. Eine Aufführung beginnt mit einem Cholkettu, welcher zur mentalen Einstimmung auf die Vorstellung dient. Der folgende Jatisvaram besteht hauptsächlich aus purer Körperbewegung und schließt theatralische Elemente aus. Im Varnam wechselt die Tänzerin zwischen reinem Tanz (nritta) und erklärendem Tanz mit Mimik und Gestik (nritya). Auf reine Körperbewegung wird im folgenden langsamen Padam verzichtet und der theatrale Aspekt sowie das Erzählen von Geschichten mit Hilfe der mudras rückt in den Mittelpunkt. Im schließenden Tillana kann die Tänzerin ihr vollständiges Können zeigen. Er wird im Kontrast zum Padam zu einer schnellen Musik getanzt und ist gekennzeichnet durch komplexe Fuß- und Körperarbeit.

5. Kostüm und Make-up

Das traditionelle Kostüm der Tänzerin wurde durch die Kleidung der Einheimischen Keralas beeinflusst, die klimabedingt hauptsächlich weiß tragen. Die Tänzerin schmückt sich mit einem weißen Sari und weiße Bluse, die traditionell ausschließlich eine goldfarbene Borte besitzen. Der traditionelle Goldschmuck wie Armreifen, lange und kurze Ketten, Stirnschmuck und Ohrringe zieren die Tänzerin. Die Besonderheit im Mohiniyattam ist das zu einem Knoten auf der linken Kopfseite aufgesteckt Haar, welches mit Jasminblüten umwunden wird. Um die Augen und die Mimik des Gesichtes zu betonen, werden das Gesicht, Augen und Augenbrauen stark geschminkt.

6. Musik

Mohiniyattam wird durch klassisch karnatische Musik begleitet. Die Musik im Mohiniyattam ist vor allem sehr lyrisch, sinnlich und bhava (Verschmelzung mit der Gottheit) bezogen. Diese Art des Gesang wird als Sopanam bezeichnet. Die beliebtesten Lieder stammen aus dem 18.-19. Jh. von Maharaja Swati Tirunal and Irayimman Thampi. Diese werden zumeist in Manipravala (eine Mischung aus Sanskrit und Malayalam) gesungen. Mohiniyattam wird neben Gesangselementen meist mit den Instrumenten Edakka, Veena, indischer Violone und Mridagam begleitet.

7. Literatur

  • Dr. Kalamandalam Radhika: Mohiniattam. The lyrical dance of Kerala, Kozhikode 2004.
  • Khokar, Ashish Mohan: Classical Dance, New Dehli 2004.
  • Radhakrishna, Geeta: „Mohini Attam”, Mumbai 1991.
  • Rele, Dr. Kanak: Mohini Attam. The lyrical dance, Mumbai 1992.
  • Shivaji, Bharati: The art of Mohiniyattam, New Dehli 1986.